Kabale und Liebe
Inhaltsverzeichnis Germanistik |
Schiller, Kabale und Liebe (1784) Müller, Hans-Georg, Kabale und Liebe. Klett Lektüre-Hilfen, Stuttgart 1996 |
1. SZENARIUM
I. AKT: Exposition 1. Vorstellung der Personen * Miller: ökonomisch u. rechtlich abhängiges, aber ehr- u. traditionsbewußtes Kleinbürgertum * Millerin: Verführbarkeit und Streben nach Höherem * Präsident Walter: zweifelhafter Ursprung des Herrschaftsanspruchs, skrupellos regierender Adel * Hofmarschall Kalb: zum Fürstendiener heruntergekommener Hofadel * Sekretär Wurm: im Verwaltungsdienst aufgestiegener bürgerlicher Beamter * Luise Miller, Ferdinand v. Walter: stehen zwischen Adel und Bürgertum 2. Konfliktauslösende Situation: Liebesbeziehung des Bürgermädchens Luise Miller mit dem adligen Major Ferdinand v. Walter * einfaches Bürgertum <-> absolutistischen Adel bzw. bürgerliche Beamten
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
II. AKT: erster Höhepunkt
* Fortführung der zwei Handlungsstränge: 1. Heiratsprojekt des Präsidenten zwischen Ferdinand u. Milford 2. Schicksal der Millers nach Entdeckung des Liebesverhältnisses Ferdinand - Luise |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
III. AKT: neuer Handlungsknoten:
zweite Intrige
* Intrige ohne Rücksicht auf Menschenwürde, auch Vernichtung der Betroffenen miteingeschlossen 1. Intrigen-Plan von Wurm und dem Präsidenten 2. Aufzeigen der Entwicklung von Ferdinand u. Luise 3. Vollzug der Intrige durch Wurm an Luise |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
IV. AKT: Verzögerung
des dramatischen Handlungsgangs
1. Konkretisierung der Eifersucht Ferdinands 2. Begegnung Luise - Lady Milford 3. Frage nach der dramatischen Funktion: * Begegnung Luise - Lady Milford: überflüssig; Verwandlung Luises aus kleinbürgerlicher Zagheit in fast hochmütigen Stolz gegenüber der Lady; heroischer Verzicht der Lady auf Ferdinand u. ihr Leben am Hof ist unplausibel * für Schiller Vorrang von effektvoller Kontrastierung zu Lasten der Kontinuität der Figuren * Funktion (Storz): dramatische Ökonomie: langsamer Akt nach drei schnellen Akten; Thema: Überleitung in die Katastrophe, die nicht in der Intrige berücksichtigt wurde |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
V. AKT: Katastrophe
1. Scheitern aller Figuren: Gebundenheit Luises; scheinbare Absolutheit Ferdinands; einfache Gradlinigkeit Millers; Intrige des Präsidenten u. Wurms 2. Luise als eigentlich tragische Figur: echter Zwiespalt zwischen absolut empfundener Liebe, Gebundenheit an Gott u. den Vater führt in tragische Auswegslosigkeit und ihren Untergang 3. Gericht der Transzendenz (v. Wiese): Isolierung einer amoralisch gewordenen Adelsgesellschaft <-> ohnmächtig gewordene bürgerliche Religion * Tragik Ferdinands: Festhalten an absoluter Bindung <-> jede Bindung wird unmöglich * Wiederkehren aller Motive des Dramas: Gedanke der ewigen, richtenden Ordnung, die dem vermessenen Willen des Einzelnen, sein Schicksal in die Hand zu nehmen, übergeordnet bleibt * die soziale Kritik an einer unsittlich gewordenen Gesellschaft * Subjektivismus des Herzens u. der fordernden Liebe * Macht des Bösen auf einer Intrige aufgebaut |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
2. KOMPOSITION DES STÜCKS
1. Grundprinzipien: Symmetrie, dialektisches Prinzip (Gegensatz) 2. SYMMETRIE DER SCHAUPLÄTZE: Wechsel von bürgerlichen und adeligen Schauplatz * I. Akt: Zimmer bei Miller - Saal beim Präsidenten * II. Akt: Saal der Lady - Zimmer bei Miller * III. Akt: Saal beim Präsidenten - Zimmer bei Miller * IV. Akt: Saal beim Präsidenten - Saal der Lady * V. Akt: einziger Schauplatz im Zimmer bei Miller 3. SYMMETRIE DES HANDLUNGSAUFBAUS I,3: (c) Erinnerung an Idylle I,4: (a) 1. Begegnung Ferdinand u. Luise: geheimer Gegensatz der Liebenden II,2: (e) Lady Milford; Kammerdienerszene, Systemkritik II,3: (f) Liebesgeständnis der Milford an Ferdinand II,5: (b) Ferdinand schwört ewige Treue III,1: (d) Planung der Intrige III,4: (a) 2. Begegnung Ferdinand u. Luise: Peripetie (d) Eifersucht Ferdinands als Ansatzpunkt für Intrige (c) Ferdinands Fluchtplan als verfälschte Idylle III,6: (d) Ausführung der Intrige IV,7: (f) Liebesverzicht der Lady Milford gegenüber Luise IV,9: (e) Lady Milford: Abgang; Systemkritik IV,4: (b) Entschluß Ferdinands zum Mord V,7: (a) 3. Begegnung Ferdinand u. Luise: Tod und Vergebung (c) Erinnerung an Idylle
3. PERSONENKONSTELLATION
1. GESELLSCHAFTLICHER RANG als Spiegel der ständischen Konfrontation 1. absolutistischer Hof (herrschend, Prunk, Beamte): Präsident von Walter, Ferdinand, Hofmarschall v. Kalb, Lady Milford, Haussekretär Wurm 2. Bürgerliche Welt
(unterdrückt, dienend, Untertanen): Miller, Millerin, Luise, Kammerjungfer
Sophie, Kammerdiener des Fürsten
2. EINSTELLUNG ZUR BESTEHENDEN ORDNUNG 1. für Erhalt der Ordnung: * Präsident u. Sekretär: Erhalt der Machtstellung; Angst vor Aufklärung der Unrechtmäßigkeit ihrer Stellung * Hofmarschall: Existenzgrundlage als Höfling * Sophie: Aufstieg aus Armut * Miller: aus Selbstverständnis des Bürgertums: keine Unordnung, da Menschen äußeren Halt brauchen 2. für Veränderung der Ordnung: * Millerin: naiver Aufstiegswille * Kammerdiener: Opfer der unmenschlichen Praktiken * Ferdinand: grundsätzliche Erwägungen: Ungerechtigkeit; kein Raum für seinen Individualismus; Ehehindernis * Lady Milford: Zwiespalt: standesgemäßes Leben durch den Fürsten u. Möglichkeit zur Milderung der Mißstände gegenüber Untertanen <-> Verzicht auf eigene Ansprüche an das Leben 3. Sonderstellung Luises: * Akzeptanz der Ordnung: Religiosität, Bindung an den Vater * Infragestellen der Ordnung:
Liebe zu dem adeligen Ferdinand
3. PERSONENKONSTELLATION ENTSPRECHEND DES INNEREN KONFLIKTES 1. Gegner der Liebesbeziehung: * Präsident: Heiratsprojekt mit der Milford * Wurm: selbst Interesse an Luise * Miller: Realität der ständischen Ordnung macht Ehe unmöglich 2. Befürworter der Liebesbeziehung: * Luise: Liebe als Fügung Gottes; Vereinigung im Jenseits * Millerin: Aufstiegswunsch 3. Zwischenstellung Lady
Milfords: Möglichkeit mit Ferdinand ein neues Leben zu beginnen <->
Stimme des Herzens für Beziehung
4. SPRACHE IM STÜCK 0. Funktion: Charakterisierung der sozialen Ordnungen 1. Kleinbürgerliche Welt: * Miller: derbe, unverblümte, ehrliche, direkte Sprache * Millerin: auch sprachlich nach Höherem strebend, falsche Verwendung von Fremdwörtern 2. aristokratische Welt: * Präsident: geschliffene, befehlende, arrogante Sprache (<-> Miller) * Hofmarschall: dümmlich, unnatürliche Sprache, vergreift sich bei Wörtern (<-> Millerin) * Wurm: trotz bürgerlicher Herkunft ähnliche Sprache wie Präsident; Vermischung der realistischen Ausdrucksweise des Bürgertums mit der glatten, distanzierten Sprache des Hofes 3. Sonderstellung von Lady Milford, Ferdinand u. Luise: keine ständischen Momente * Lady Milford: Wechsel zwischen höfischer Unnatürlichkeit u. leidenschaftlicher, individueller Natürlichkeit * Ferdinand: hohes Pathos; abstrakte Bilder oft ohne Wirklichkeitsbezug * Luise: schlichte Sprache
mit echten Empfindungen ('Ton des Herzens'); Verstummen bei sprachlich
nicht ausdrückbaren Gefühlen; nicht passend: intellektuell geschliffene
Sprache gegenüber Lady Milford (epigrammatische Kürze)
5. MEHRDIMENSIONALES SPRACHGEFLECHT (Binder) 0. Überschneidung von sozialer, intellektueller u. moralischer Dimension der Sprache 1. soziale Dimension: bei allen Personen außer bei Lady Milford, Luise, Ferdinand 2. intellektuelle Dimension: 'Kluge u. Dumme' sowohl gesellschaftlich unten u. oben * Sprachebene zur Darstellung von Fakten, nicht zur Charakterisierung von Figuren; daher auch psychologische Unwahrscheinlichkeiten * rationale Klarheit der Sprache, Begriffsantithesen 3. moralische Dimension: * Sprache der Unbedingten (Ferdinand, Luise, Lady Milford): Sprache mit Pathos, geht über Reales hinweg, liegt im genialischen u. empfindsamen Bereich; Wirklichkeitsverständnis nur im Horizont des Gefühls; kennzeichnet Standort in der metaphysischen Ordnung (?) * Sprache der Unbedingten:
realitäts- u. situationsbezogene Sprache; Gefühle nur im Horizont
der Wirklichkeit
6. BÜRGERLICHES TRAUERSPIEL 1. Merkmale: * keine Ständeklausel * Darstellung der bürgerlich-privaten Welt * Propagierung einer bürgerlichen Tugendlehre und empfindsam-moralischer Gefühlskultur * keine gebundene Sprache * neue Definition von Tragik: rührende, moralische Situation ist tragisch 2. Entwicklung des bgl.Tr.: * Aufklärung: Fragen der Moral (Emilia Galotti) * Sturm u. Drang: soziale Anklage (Kindermörderin) 3. Kabale und Liebe: * ständeunabhängige Frage der Moral u. Tugend und konkrete Anklage bestehender Mißstände * äußerer Konflikt: Standesunterschiede; innerer Konflikt: Ferdinands Liebesbegriff * Zeitstück: Darstellung
von Zeitverhältnissen
7. DRAMA DES STURM U. DRANG 1. Kennzeichen: Gefühl gegen Verstand * schrankenloses Selbstgefühl des Individuums (Hofmeister, Soldaten, Kindermörderin) * Kraftgenie ('großer Kerl') (Dramen Klingers, Götz) 2. Sturm u. Drang-Merkmale in Kabale und Liebe: * Ferdinand als Prototyp des Stürmer u. Drängers * Herz als letzte Beurteilungsinstanz * Schillers Verhältnis
zum Sturm u. Drang: verabsolutierter Subjektivismus von Ferdinand Mitursache
seines Scheiterns
8. PROBLEMATIK DES TITELS * ursprünglich Louise Millerin, dann auf Vorschlag von Schauspieler Wilhelm Iffland in Kabale und Liebe umbenannt; neuer Titel war publikumswirksamer * Vorteil des alten Titels: eindeutige Kennzeichnung der Hauptfigur als bürgerliche Heldin * Nachteile des neuen Titels:
reißerisch; Irreführung, denn Hauptproblem ist nicht die Kabale,
sondern die innere Entzweiung der Liebenden
9. Schillers TRAGÖDIENTHEORIE 0. Die Schaubühne als moralische Anstalt (1784) 1. Tragödie als Theodizee: Aufgabe des Theaters, die Ordnung der Welt als gottgeschaffen zu zeigen durch Herstellung höherer Gerechtigkeit auf der Bühne 2. Erziehungsauftrag des Theaters: Liebe zur Tugend u. Abscheu vor dem Laster * Nachsicht, Toleranz, Läuterung der eigenen Leidenschaften durch Spiegelbild des wirklichen Lebens 3. Mittlerrolle zwischen
Freiheit u. Notwendigkeit: idealischer Sieg des Individuums mit den gesellschaftlichen,
sittlichen u. religiösen Zwängen: 'In dieser künstlichen
Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wieder
gegeben.'
10. INTERPRETATIONSANSÄTZE 1. SOZIALES DRAMA: Anklage sozialer u. gesellschaftlicher Mißstände (v.a. Deutung des dialektischen Materialismus) * Miller: fortschrittliches Bürgertum; Ferdinand: Adelsdemokrat 2. RELIGIÖSE DEUTUNG: 'Gegenüberstellung einer vorläufigen, verzerrten, irdischen Welt gegenüber einer ewigen ' (Storz) * eschatologisches Tribunal in der Schlußszene 3. EXISTENZIELLE DEUTUNG: moderne Interpretation (Martini) * Luise als Mensch, der sich der Grenzen der irdischen Existenz bewußt ist; kein sinngebender Halt in der Wirklichkeit noch in der Liebe zu Ferdinand * Problematik von Ferdinands
ungehemmten Subjektivismus, er sieht sich als Vollzugsorgan einer höheren
Macht
11. HISTORISCHE BEZÜGE zu den Zuständen in Württemberg (Herzog Karl Eugen (1737-93) 1. verschwenderische Hofhaltung, Repräsentativbauten (Lustschlösser Solitude, Hohenheim, Monrepos; Neues Schloß) 2. Auspressen der Bevölkerung 3. Mätressenwesen: Katarina Bonafini 4. Intrigen: gefälschte Briefe gegen Oberkriegsrat Rieger durch leitenden Minister Monmartin 5. Willkürherrschaft: Einkerkerung von Friedrich Daniel Schubart (1777-87), Jakob Moser 6. Soldatenverkauf an England
12. DIALEKTWENDUNGEN gelt, Musje, verschmecken, Mucke, wunderhübschen Billeter, er springt über die Planke, Präsenter, barrdu, Kidebarri, halt, mehresten, Stuttierter, Halbnarr, grausamer Reichtum Inhaltsverzeichnis Germanistik |